27.10.2023

Ärztlicher Bereitschaftsdienst der KV – Pflicht zur Beteiligung von Privatärzten? (BSG Urteile v. 25.10.2023)

Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich am 25.10.2023 zur 2019 in Hessen eingeführten Neuregelung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes geäußert. Es geht um die Einbeziehung der in eigener Praxis tätigen Privatärzte in diesen von der Kassenärztlichen Vereinigung zu organisierenden Notdienst.

Dabei war über drei Konstellationen zu entscheiden:

1. B 6 KA 16/22 R Ein bereits 1947 geborener nur noch privatärztlich tätiger Kläger war im Mai 2019 von der KV zwar aus Altersgründen von der Teilnahme am Bereitschaftsdienst befreit worden. Die KV hatte ihm aber gleichzeitig mitgeteilt, an den Kosten des Bereitschaftsdienstes müsse er sich unabhängig von der Befreiung beteiligen. (Die tatsächliche Höhe der Kosten wurde erst später in gesonderten Bescheiden festgesetzt.)

2. B 6 KA 17/22 R Im zweiten Prozess ging es auch um die konkrete Höhe der Kostenbeteiligung. Der von der klagenden Privatärztin pro Quartal zu leistende Beitrag war zunächst pauschal auf 750,00 € festgesetzt worden; im Lauf der weiteren Auseinandersetzung wurde er im Rahmen einer individuellen Beitragsreduzierung für 2019 auf 355,29 € und für 2020 auf 355,25 € festgesetzt. Unabhängig davon blieb die Frage der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Heranziehung Gegenstand des Prozesses.

3. B 6 KA 20/22 R Der Kläger des dritten Prozesses war von der KV (voll) zum Dienst eingeteilt worden. Er beantragte eine Befreiung oder wenigstens Reduzierung der Dienstzeit, da er in seiner privatärztlichen Praxis als Orthopäde nur noch insgesamt 14 Stunden pro Woche arbeite, im übrigen aber berufsfremd als Unternehmer an anderer Stelle tätig sei. Die KV lehnte dies ab. Die Bereitschaftsdienstordnung sehe eine Reduzierung nur bei Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung neben der privatärztlichen Tätigkeit vor.

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hatte in seinen Entscheidungen vom 27.07.2022 den Kläger:innen im Ergebnis Recht gegeben und in den ersten beiden Fällen die Verpflichtung zur Kostenbeteiligung aufgehoben und im dritten Fall festgestellt, dass der Kläger nicht zur Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst der KV verpflichtet sei.

Die Begründung dieser Urteile ist komplex. Das LSG hat u. a. ausführlich geprüft, wieweit der hessische Landesgesetzgeber überhaupt – im Verhältnis zum Bund – zuständig für die Neuregelung des Bereitschaftsdiensts sein könne; inwieweit Privatärzte in Regelungen für Vertragsärzte einbezogen werden dürften; wie die Stellung der Landesärztekammer zu sehen sei; wie detailliert der Gesetzgeber bei einer Delegierung von Regelungsbefugnissen dafür Richtlinien vorgeben müsse; wie weit die Satzungsautonomie der KV reiche.

Die heranzuziehenden Regelungen finden sich im Hessischen Heilberufsgesetz, in der Berufsordnung und in der Bereitschaftsdienstordnung.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das LSG in allen drei Verfahren die Revision zugelassen

So kam es jetzt zu den Entscheidungen durch das BSG:

- Das BSG hat, wie sich seinen Terminberichten vom 26.10.2023 entnehmen lässt, grundsätzlich keinen Zweifel an Zulässigkeit und Grundsätzen der Neuregelung. Die Heranziehung von Nichtvertragsärzten zur Teilnahme und Kostenbeteiligung am Bereitschaftsdienst stelle zwar einen Eingriff in die Berufsfreiheit dar und bedürfe einer gesetzlichen Ermächtigung. Diese sei jedoch mit den Regelungen in §§ 23 und 24 Hessisches Heilberufsgesetz ordnungsgemäß gegeben. Die Regelung habe auch vom Landesgesetzgeber vorgenommen werden dürfen und sei nicht dem Bund vorbehalten. Wie der Landesgesetzgeber den Bereitschaftsdienst im einzelnen ausgestalte, darin sei er grundsätzlich frei.

- Allerdings sieht das BSG die weitere Ausgestaltung der Kostenbeteiligung in der Satzung der KV als nicht ausreichend an. Weder aus deren Satzung noch aus Satzungsrecht der Landesärztekammer lasse sich entnehmen, „nach welchen Bemessungsgrundsätzen die Beitragsfestsetzungen für Privatärzte der Höhe nach kalkuliert sind“ und nach welchen Kriterien der Vorstand der KV gemäß der Bereitschaftsdienstordnung die Beiträge festlege. Das sei so nicht hinreichend rechtsstaatlich-demokratisch legitimiert.

- Darüber hinaus rügt das BSG noch eine bestimmte Regelung in der Bereitschaftsdienstordnung als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 des Grundgesetzes: Alle Ärzte seien grundsätzlich gleichmäßig und ohne überproportionale Beanspruchung zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen. § 3 Abs. 3 der Bereitschaftsdienstordnung berücksichtige das bei Privatärzten mit der Möglichkeit einer Reduzierung der Teilnahme aber nur bei einer gleichzeitig ausgeübten abhängigen Beschäftigung. Dafür, dass nicht auch eine selbständige Tätigkeit berücksichtigt werden könne, gebe es keinen sachlichen Differenzierungsgrund.

Das bedeutet für die drei Verfahren:

1. Laut BSG wurde für den ersten Kläger von der KV zu Recht festgestellt, dass er sich trotz Befreiung an den Kosten beteiligen muss.

2. Dass die Ärztin überhaupt zur Kostenbeteiligung heranzuziehen ist, ist zwar dem Grunde nach in Ordnung. Da die Kriterien für die Bemessung der Kosten für die Privatärzte aber nicht ausreichend geregelt sind, belässt es das BSG bei der Aufhebung der Beitragsbescheide durch das LSG. Sie bleiben rechtswidrig.

3. Auch im dritten Fall ist zwar eine Heranziehung des Klägers grundsätzlich rechtmäßig. Da aber die Bereitschaftsdienstordnung ohne sachlichen Grund Privatärzte benachteiligt, die noch anderweit selbständig tätig sind, muss die KV ihre Satzung entsprechend dieser Rechtsauffassung ändern und danach dem Kläger einen neuen Bescheid über den Umfang seiner Heranziehung erteilen.

Plagemann Rechtsanwälte

Ansprechpartner:innen: Prof. H. Plagemann, Dr. Jana Schäfer-Kuczynski

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