26.07.2023

Ambulante Betreuungsassistentin – Statusfeststellung: sozialversicherungspflichtig oder selbständig? – LSG Bayern Urt. v. 14.2.2023 -

1. In den letzten Jahren besteht eine immer stärkere Tendenz in der Rechtsprechung, Dienstleister als sozialversicherungspflichtig einzustufen, auch wenn sie nach ihrem Selbstverständnis unabhängig und selbständig tätig sind.

Insofern ist die Entscheidung des Landessozialgerichts Bayern (LSG) vom 14.2.2023 (L 16 BA 9/20) bemerkenswert: Hier wurde einem ambulanten Pflegedienst und einer für ihn und seine Kunden tätigen Betreuungsassistentin (der Klägerin des Verfahrens) bestätigt, dass sie als selbständig anzusehen war.

2. Der Rentenversicherungsträger hatte im Statusfeststellungsverfahren angenommen, die Betreuungsassistentin sei bei dem Pflegedienst abhängig beschäftigt und es bestehe deshalb Rentenversicherungspflicht. Nur weil die Vergütung sich im Rahmen der Geringfügigkeit hielt, wurde für Kranken- und Pflegeversicherung sowie Arbeitslosenversicherung Versicherungsfreiheit angenommen.

Dieser Auffassung hatte schon das Sozialgericht Nürnberg eine Absage erteilt. Das LSG bestätigte nun die Selbständigkeit der Betreuungsassistentin.

3. Der im Urteil sehr ausführlich dargestellte Sachverhalt lässt sich in den wesentlichen Punkten so zusammenfassen, ohne dass hier jedes einzelne vom Gericht herangezogene Detail aufgelistet wird:

Zum Leistungsangebot des betroffenen ambulanten Pflegedienstes gehörten pflegerische und hauswirtschaftliche Leistungen, nicht aber Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45b SGB XI. Um das Angebot erweitern zu können, fragte die Pflegedienstleitung bei der späteren Klägerin an, ob sie für drei Kunden des Pflegedienstes diese Leistungen erbringen könne. Man einigte sich auf einen Stundensatz hierfür von 26 €, den der Pflegedienst der Klägerin auf von ihr eingereichte Rechnungen hin zahlte und den er seinerseits gegenüber der Pflegekasse abrechnete.

Die Klägerin hatte eine Ausbildung als Betreuungsassistentin und diverse Fortbildungen absolviert, ein Gewerbe angemeldet, verfügte über ein Institutionskennzeichen und schaffte selbst Gegenstände für ihre Arbeit an wie Gymnastikbälle, Spiele, Liederbücher oder Bastelsachen. Sie betreute mehrere Seniorinnen und Senioren zu Hause, erledigte z. B. mit ihnen Einkäufe oder Arztbesuche, unternahm Spaziergänge mit ihnen, machte Gedächtnistraining, buk gemeinsam mit ihnen Kuchen. Pflegerische Leistungen konnte sie nicht erbringen und erbrachte sie auch nicht. Sie warb für sich u. a. mit Anzeigen und Flyern.

Die Erstgespräche mit den Kunden und Kundinnen des Pflegedienstes führte die Klägerin selbst. Sie erarbeitete auch den Betreuungsplan selbständig und vereinbarte ebenso die weiteren einzelnen Termine ohne Vorgaben des Pflegedienstes. Kontakt zur Mitarbeiterschaft des Pflegedienstes gab es nicht, auch keine Teilnahme an dortigen Besprechungen. Die Klägerin trat auch nicht als Mitarbeiterin des Pflegedienstes auf.

4. Der Rentenversicherungsträger meinte, mit diesen Tätigkeiten der Klägerin habe sich der Betriebszweck des Pflegedienstes konkretisiert, so dass eine Eingliederung der Klägerin in dessen Arbeitsorganisation vorgelegen habe.

Anders Sozialgericht und Landessozialgericht. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das LSG eine Vielzahl von Kriterien des Falles auf, wie sie im Sachverhalt oben teilweise bereits dargestellt sind, und wägt ihr Gewicht ab. Es habe keine Weisungsbefugnis des Pflegedienstes bestanden und eine Eingliederung der Klägerin in seine Betriebsorganisation fehle nahezu vollständig. Auch liege ein unternehmerisches Risiko der Klägerin vor, das vor allem aus ihren Investitionen abgeleitet wird für Anschaffungs- und Gründerkosten, Berufshaftpflichtversicherung, Pkw, Werbung, Weiterbildung. Sie trete auch am Markt werbend auf. Auch könne es Bedeutung haben, dass sie auch andere Auftraggeber als den Pflegedienst hatte. Wenig Bedeutung dagegen wurde etwa der Gewerbeanmeldung und dem Fehlen von Lohnfortzahlungs- und Urlaubsansprüchen beigemessen. Interessant sind auch die Ausführungen zur Bedeutung der Vereinbarung einer Vergütung nach Stunden.


In der Gesamtabwägung jedenfalls überwogen für das LSG die Merkmale, die für eine Selbständigkeit der Tätigkeit sprachen. Dabei hebt das Gericht am Ende sogar – eher ungewöhnlich - hervor, dass auch der Wille der Klägerin und des Pflegedienstes, eine selbständige Tätigkeit zu begründen, für die gefundene Entscheidung spreche.

5. Dennoch dürfte sich das Urteil nicht ohne weiteres auf ähnliche Fälle übertragen lassen:

Das LSG weist selbst darauf hin, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung „regulatorische Vorgaben“ für eine Leistungserbringung im Pflegebereich in der Tat regelmäßig zur Annahme einer Eingliederung in die Organisations- und Weisungsstruktur einer Pflegeeinrichtung führten, sei es eine stationäre Einrichtung, sei es ein ambulanter Pflegedienst: Die mit der Wahrnehmung der pflegerischen Gesamtverantwortung verbundenen Qualitätsanforderungen bedingten einen hohen Organisationsgrad.

Im vorliegenden Fall ging es aber nicht um eigentlich pflegerische Leistungen, sondern um die Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45b SGB XI.

Und im zu entscheidenden Zeitraum – August 2015 bis Dezember 2016 – sah das LSG hierfür (noch) keine regulatorischen Vorgaben: Weder die gesetzlichen Regelungen für Qualitätsmanagement und -sicherung  noch Versorgungs- und Rahmenvertrag aus der ambulanten Pflege ließen sich nach Auffassung des LSG auf den Bereich des § 45b SGB XI übertragen. Damit stand die Entscheidung für das LSG fest.

Ergänzend muss man hierzu allerdings sagen, dass der GKV-Spitzenverband zwischenzeitlich, nämlich am 17.07.2019, Richtlinien nach § 112a SGB XI zu den Anforderungen an das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung für ambulante Betreuungsdienste beschlossen (und am 08.02.2021 geändert) hat.

Wäre der Sachverhalt der ambulanten Betreuungsassistentin nach heutigem Recht zu entscheiden, würde die Entscheidung mithin wohl anders ausfallen.

6. Einmal mehr ist daher hervorzuheben, dass es in der Regel sinnvoll ist, ein Statusfeststellungsverfahren /Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV zu betreiben und dieses hinsichtlich all seiner Facetten gut vorzubereiten! Die Entscheidung der Rentenversicherung kann auch schon vor Aufnahme einer Tätigkeit eingeholt werden.

Auch im hier entschiedenen Fall hatte die Klägerin die Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status beantragt, aber erst nach Ende ihres Vertragsverhältnisses zu dem ambulanten Pflegedienst. Für sechs verschiedene Auftraggeber wurden sechs Verfahren eingeleitet.

Wäre die Entscheidung der Rentenversicherung über die abhängige Beschäftigung von den Gerichten bestätigt worden, wären Beiträge vom Pflegedienst nachgefordert worden, ein nicht unerhebliches Risiko, zumal wenn es nicht nur um einen geringfügigen Tätigkeitsumfang geht.


Plagemann Rechtsanwälte

Ansprechpartner:innen: Prof. Hermann Plagemann, Dr. Jana Schäfer-Kuczynski, Martin Schafhausen

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