28.04.2023

Schnittstelle Arbeitsrecht – Sozialrecht – Schadensersatzrecht: Kein Anspruch auf Schmerzensgeld gegen Arbeitskollegen (LAG Nürnberg 20.12.2022)

1. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg hatte über einen Schadensersatzanspruch unter Arbeitskollegen zu entscheiden: Der Kläger war in einer Feuerwache beschäftigt und stand dort zusammen mit zwei Feuerwehrleuten im Bereich einer engen Hofeinfahrt, als der Beklagte, ein dort ebenfalls beschäftigter Feuerwehrmann, ein Dienstfahrzeug durch eben diese enge Einfahrt an seinen Unterbringungsort zurückfahren wollte.

Der Beklagte hielt an, betätigte kurz das Signalhorn und fuhr dann langsam weiter.

Durch das Signalhorn erlitt der Kläger einen Gesundheitsschaden: Er war längere Zeit arbeitsunfähig; und ein HNO-ärztliches Gutachten ergab, dass eine vorbestehende Hörminderung sich verschlechtert hatte und beidseits ein Tinnitus entstand.

Der zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (die Unfallversicherung Bund und Bahn) erkannte den Vorfall als Arbeitsunfall an. Ob und welche konkreten Leistungen die Unfallversicherung ihm zusprach, lässt sich aus dem Urteil nicht ersehen. Sollte es insoweit Streit gegeben haben, wäre eine andere Gerichtsbarkeit dafür zuständig gewesen: die Sozialgerichte.

Jedenfalls aber wollte der Geschädigte unabhängig von Ansprüchen gegenüber der Unfallversicherung erreichen, dass der Arbeitskollege ihm Schadensersatz zahlen sollte, vor allem ein Schmerzensgeld, aber auch etwaigen weiteren Vermögensschaden.

Seine Klage war in Erster Instanz vom Arbeitsgericht Nürnberg bereits abgewiesen worden. Nun hat auch das LAG seine Berufung zurückgewiesen.

An dem Fall lässt sich zeigen, dass die Geltendmachung oder Abwehr von Ansprüchen im Zusammenhang mit einem Unfall im Arbeitsverhältnis komplex ist, weil Regeln aus verschiedenen Rechtsgebieten berücksichtigt werden müssen.

Zuständig kann je nach Konstellation die allgemeine Zivilgerichtsbarkeit, die Arbeitsgerichtsbarkeit (wie hier) oder die Sozialgerichtsbarkeit sein.


2. Wenn ein Arbeitsunfall vorliegt, gelten hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche Sonderregeln

a) Das Sozialrecht sieht nämlich vor, dass Arbeitgeber:innen Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zahlen müssen, geregelt im 7. Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VII). Anders als bei den anderen Zweigen der Sozialversicherung werden Arbeitnehmer:innen dagegen nicht zu Beiträgen herangezogen.

Die Träger der Unfallversicherung erbringen dann aus diesen Beiträgen aller Unternehmen an die versicherten Beschäftigten Leistungen für Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten, während die Arbeitgeber:innen selbst gemäß § 104 SGB VII von ihren Beschäftigten nicht mehr auf Schadensersatz wegen eines bei einem Arbeitsunfall erlittenen Personenschadens in Anspruch genommen werden können – es sei denn es läge auf Arbeitgeberseite Vorsatz vor. (Auch für „Wegeunfälle“ gelten abweichende Regeln.)

b) Mit dieser Verlagerung der Entschädigung für Arbeitsunfälle vom einzelnen Unternehmen auf die Unfallversicherung (vor allem „Berufsgenossenschaften“ und Unfallkassen) geht auch eine besondere Regulierung der Leistungen einher: Das SGB VII sieht nicht den „üblichen“ Schadensersatz nach den allgemeinen (zivilrechtlichen) Reglungen vor, sondern nur ganz bestimmte Leistungstypen wie Verletztengeld, Rente und Reha, die stark an einer etwaigen unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit orientiert sind. Ein Anspruch auf ein Schmerzensgeld (also Ausgleich für einen immateriellen Schaden) existiert nach dem SGB VII nicht. Auch gelten für Kausalitätsfragen eigene Regeln.

c) Das kann Vor- und Nachteile für Beschäftigte haben, die einen Arbeitsunfall erleiden: Ein Nachteil ist es etwa, für immaterielle Schäden keinen Ausgleich zu erhalten. Ein Vorteil ist es, dass keine Arbeitnehmer:in nach einem Arbeitsunfall darauf angewiesen ist, sich mit der Arbeitgeber:in auseinanderzusetzen. Auch muss niemand sich, vor allem bei schweren Verletzungen, Sorgen machen, ob das Unternehmen überhaupt finanziell und anhaltend in der Lage ist, eine ausreichende Entschädigung zu erbringen. Und allgemein betreiben die Unfallversicherungsträger auch Prävention und bemühen sich um Sicherheit am Arbeitsplatz.

d) Betroffen von der weitgehenden Beschränkung einer unmittelbaren Haftung im Arbeitsverhältnis bei Arbeitsunfällen sind aber nicht nur die Unternehmen. Sondern dann, wenn ein Arbeitsunfall vorliegt, können gemäß § 105 SGB VII auch Arbeitnehmer:innen untereinander keinen Schadensersatz erlangen. Auch hier gilt allerdings: Vorsatz steht dieser Haftungsbeschränkung entgegen.

e) Mit den sozialrechtlichen Regelungen zu Arbeitsunfällen sollen auf diese Weise nicht nur nach dem Versicherungsprinzip Risiken auf mehr Schultern verteilt werden (alle Unternehmen zahlen ein; tritt tatsächlich in einem der Unternehmen ein Schadenfall auf, kann dieser aus den Mitteln aller entschädigt werden; Arbeitnehmer:innen werden von finanziellen Risiken weitgehend entlastet). Sondern das Arbeitsverhältnis soll auch von Streitigkeiten aus Arbeitsunfällen möglichst freigehalten werden.

f) Das heißt allerdings nicht, dass ein Unfallverursacher gar nicht mit einer Haftung rechnen muss: Nach § 110 SGB VII können die Unfallversicherungsträger Regress bei Unternehmen oder Arbeitnehmer:innen nehmen, wenn sie den Versicherungsfall (Arbeitsunfall) vorsätzlich oder auch (nur) grob fahrlässig herbeigeführt haben.

3. Vor diesem Hintergrund ist der Rechtsstreit vor dem LAG Nürnberg zu verstehen.

Der Vorfall war von der Unfallversicherung als Arbeitsunfall anerkannt worden.  Ein Schmerzensgeld aber sieht das SGB VII, wie oben dargestellt, nicht vor. Dies und etwaigen weiteren Schaden wollte der Kläger von seinem Arbeitskollegen erlangen.

In Erster Instanz trug er vor, es habe sich bei der Betätigung des Signalhorns schon gar nicht um eine „betriebliche Tätigkeit“ gehandelt; er vermute, der beklagte Arbeitskollege habe ihn nur erschrecken wollen. Schon deshalb könnten die Einschränkungen des SGB VII für die Haftung nicht gelten. Vor allem aber habe Vorsatz beim Beklagten vorgelegen. Der habe gewusst, dass der Kläger keinen Gehörschutz getragen habe. Es sei auch allgemein bekannt, dass ein derart lauter Ton zu gesundheitlichen Schädigungen führen könne. Das Betätigen des Signalhorns in der Situation des Rangierens sei völlig untypisch und exzessiv.


4. Das LAG bestätigt die Klageabweisung durch das Arbeitsgericht Nürnberg.

Gestützt auf Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bejaht es eine „betriebliche Tätigkeit“. Der Begriff sei nicht eng auszulegen. Die Betriebsbezogenheit entfalle (erst), „wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und der Intention des Schädigers erst gar nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihnen gar zuwiderläuft“. Als Beispiel wird genannt: „wenn der Schaden infolge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten, gefahrenträchtigen Spielerei, Neckerei oder Schlägerei eintritt“.

Die akustische Warnung der im Gefahrenbereich Stehenden beim Rangieren habe noch zur Erledigung der betrieblichen Arbeit gehört, das Fahrzeug an seinen Abstellplatz zu bringen. Damit war die prinzipielle Anwendung der sozialrechtlichen Sonderreglungen gegeben. Und nur Vorsatz hätte den Weg zum „normalen“ zivilrechtlichen Schadensersatz eröffnet.

Hierzu weist das LAG – wiederum unter Berufung auf die Rechtsprechung des BAG -, darauf hin, dass sogar „doppelter Vorsatz“ erforderlich ist: Nicht nur das Unfallhandeln selbst muss gewollt gewesen sein – so war es hier; der Feuerwehrmann hat das Signalhorn absichtlich betätigt. Sondern auch der Schaden muss vom Vorsatz umfasst sein. Dazu genügt zwar auch „bedingter Vorsatz“: Der Eintritt des Schadens muss nicht direkt gewollt, aber wenigstens gebilligt, „jedenfalls aber in Kauf genommen“ werden. Nicht ausreichend ist dafür laut dem Urteil, wenn es der handelnden Person gleichgültig ist, ob ein Schaden eintritt, und sie annimmt, es werde schon nichts passieren.

Laut LAG sprachen die Umstände gegen einen Schädigungsvorsatz. In unmittelbarer Nähe hielten sich drei Personen auf: Dem LAG fehlten jegliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte einen Gehörschaden gleich bei allen drei Kollegen billigend in Kauf genommen hätte.

Und die Überlegung des Klägers, der Beklagte habe ihn erschrecken wollen, versteht das LAG ganz anders als er. Es führt aus: „Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass der Beklagte den Kläger eben nur erschrecken wollte, aber nicht in seiner Gesundheit verletzen.“ Auch waren Hupe und Signalhorn offenbar derart miteinander gekoppelt, dass allein ein Hupen nicht möglich war.


5Das Urteil setzt sich ausführlich mit verschiedenen Aspekten des Falles auseinander, die oben nur zusammenfassend dargelegt werden können. Wer Ansprüche aus einem Arbeitsunfall geltend machen oder abwehren will, hat jedenfalls mit ganz unterschiedlichen Vorschriften und Rechtsfolgen zu tun, je danach, ob sich die Ansprüche gegen Arbeitgeber:innen, Arbeitskolleg:innen oder die gesetzliche Unfallversicherung richten. Sofern auch noch Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung in Frage kommen, ergeben sich wiederum weitere Gesichtspunkte, dann auch aus vertraglichen Regelungen.

(Unsere Kollegin Baumann-Flikschuh hat im Fachdienst Sozialversicherungsrecht eine Urteilsanmerkung veröffentlicht, die vertiefend auf einzelne Gesichtspunkte eingeht, FD-SozVR 2023, 457063.)

 

Plagemann Rechtsanwälte

 

Ansprechpartner:innen:

Arbeitsrecht: Martin Schafhausen

Sozialrecht: Dr. Jana Schäfer-Kuczynski, Prof. Dr. Hermann Plagemann, Martin Schafhausen

Schadensersatzrecht: Felix Fischer

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