16.06.2023

Versorgung mit Geh- und Stehtrainer „Innowalk" (Hilfsmittel) durch Krankenkasse - BSG Urt. v. 14.06.2023

Der inzwischen 21 Jahre alte Kläger des Verfahrens hatte beim Bundessozialgericht (BSG) Erfolg.

Er leidet an einer Fehlbildung der Wirbelsäule und des Rückenmarks (Spina bifida mit Myelomeningozele) mit Lähmung der unteren Extremitäten und erheblicher Mobilitätseinschränkung. Er beantragte nach Erprobung und ärztlicher Verordnung die leihweise Versorgung mit einem motorisierten Trainingsgerät für den häuslichen Bereich für 12 Monate. Das Gerät soll zur Dehnung und Kräftigung der für Stehen und Gehen essenziellen Muskelgruppen beitragen. Erwartete Mietkosten für die Krankenkasse: knapp 8.400 €. Die Kasse lehnte ab.

Bereits am 19.11.2019 hatte das Sozialgericht Karlsruhe der Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hob dieses Urteil jedoch am 10.08.2021 auf und wies die Klage ab. Es war der Auffassung, das Trainingsgerät berge gegenüber etablierten Hilfsmitteln erhöhte Risiken; deshalb bedürfe es zuvor einer – positiven - Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA).

Der Gemeinsame Bundesausschuss setzt sich zusammen aus den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Das Beschlussgremium besteht außer aus Vertretern dieser Institutionen aus „unparteiischen Mitgliedern“.

Gegen das Urteil des LSG ging der Kläger in Revision zum Bundessozialgericht (BSG).

Während es in Prozessen um die Versorgung mit Hilfsmitteln häufig vor allem um die individuelle gesundheitliche Situation der Betroffenen geht und ob das Hilfsmittel hierauf bezogen geeignet und erforderlich ist, stand das hier nicht im Vordergrund. Sogar das LSG ging auf Grund eines Sachverständigengutachtens bereits davon aus, dass „der Steh- und Gehtrainer im Fall des Klägers (…) anderen Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung eindeutig überlegen“ war.

Es ging vielmehr darum, welche Voraussetzungen ein Hilfsmittel generell erfüllen muss.

Im Fall von „Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ darf nach § 135 SGB V mindestens im ambulanten Bereich eine Versorgung damit durch die Krankenkassen nur erfolgen, wenn die neuen Methoden zuvor vom Gemeinsamen Bundesausschuss für gut befunden wurden („Sperrwirkung“).

Dem Wortlaut nach gilt das zwar nicht unmittelbar auch für „Hilfsmittel“. Nach der Rechtsprechung aber darf ein Hilfsmittel nicht in das vom GKV-Spitzenverband geführte Hilfsmittelverzeichnis eingetragen werden, wenn die zu Grunde liegende Behandlungsmethode neu und (noch) nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss geprüft und empfohlen ist.

Das BSG hebt hervor, dass dies nicht nur für heilende/behandelnde oder vorsorgende Zwecke („kurativ“, „präventiv“) gilt, sondern auch wenn ein Hilfsmittel dem Behinderungsausgleich dient.

Deshalb habe das LSG zutreffend „geprüft, ob die zu Grunde liegende Methode im Vergleich zu bereits anerkannten Methoden so deutliche Unterschiede aufweist, dass eine selbständige Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erforderlich ist“.

Es ergab sich dann, dass der Hersteller des Trainingsgeräts beim GKV-Spitzenverband die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis beantragt hatte. Auf dessen Anfrage hin erklärte der Gemeinsame Bundesausschuss, der Einsatz des Innowalk sei zwar Bestandteil einer Behandlungsmethode. Diese sei aber nicht neu. Somit bedurfte es einer Prüfung des Hilfsmittels durch ihn nicht.

Dieser Feststellung des Gemeinsamen Bundesausschusses sprach das BSG Bindungswirkung zu. Anhaltspunkte dafür, dass der GBA sein Normsetzungsermessen überschritten habe, gebe es nicht.

Somit gab es auch keine „Sperrwirkung“ aus § 135 SGB V für die Bewilligung der Krankenkassenleistung. Der Kläger erhielt Recht.

 

Plagemann Rechtsanwälte

 

Ansprechpartner:innen:

Dr. Jana Schäfer-Kuczynski, Martin Schafhausen, Prof. Dr. Hermann Plagemann

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